Die Fake-News-Debatte könnte zur Fake-News werden

von Prof. Dr. Andre Döring

Nach der Wahl ist vor der Wahl. So lautet die Wahlstrategie von Donald Trump, dem bis heute erfolgreichsten Populisten in den westlichen Demokratien, Gegenstand der journalistischen und politischen Analyse. Dabei spielen drei Aspekte eine zentrale Rolle in der Diskussion.

Erstens wird diskutiert, welcher Effekt sozialen Medien, speziell Facebook, zugesprochen werden kann, um gezielt spezielle Wählergruppen anzusprechen, in ihrer Meinung zu beeinflussen und für eine Wahl zu gewinnen. Zweitens führt die Presse und Politik einen emotionalen Diskurs darüber, welchen Einfluss »Fake-News«, in Form von Verschwörungstheorien oder frei erfundenen faktenbefreiten Nachrichten, Bevölkerungsgruppen in ihrer Meinung beeinflussen. Drittens wird die Frage gestellt, in wie weit populistische Medienplattformen wie breitbart.com, perspektivisch Meinungen der Bevölkerung beeinflussen können und werden.

Anlass für diese Debatte sind unter anderem die 2017 anstehenden Wahlen in Italien, Frankreich und Deutschland. Etabliere Parteien verspüren Angst vor der roboter-gesteuerten Social-Media-Keule der Populisten, die ihnen durch den gezielten Einsatz von Fake-News, verbreitet durch Social-Media-Postings, große Wählergruppen abzuwerben drohen. Journalisten sehen ihre Deutungshoheit durch die verbreitete Nutzung sozialer Medien als primäre Plattform zur Informationsbeschaffung und Meinungsbildung der Bevölkerung in Gefahr.

Beispiele für Fake-News

Fake-News bergen sicher eine gewisse Gefahr, Menschen zu beeinflussen und zu Straftaten zu animieren. Jüngstes Beispiel ist eine Schießerei in einer Pizzeria in Washington, aus der heraus Hillary Clinton angeblich einen Kinderporno-Ring betreiben soll. Motiviert durch die über Fake-News-Postings verbreitete Verschwörungstheorie schießt ein vermutlich geistig verwirrter Mann in dieser Pizzeria um sich.

Renate Künast konnte jüngst belegen, dass auf Facebook ein falsches Zitat von ihr veröffentlicht und geteilt wurde. Sie ging strafrechtlich dagegen vor und Facebook musste den Post widerwillig nach einigen Tagen entfernen.

Ein weiteres Beispiel ist die Fake-News der angeblichen Vergewaltigung des russischen Mädchens Lisa im Januar 2016, die neben Demonstrationen vor dem Kanzleramt auch internationale Reaktionen des russischen Außenministeriums hervorgerufen hat.

Auch von staatlicher Stelle wurden gezielt Falschinformation genutzt, um Entscheidungen zu beeinflussen. Aus Sicht der Politik ist der 2003 erfundene und international damals stark umstrittene Bericht des damaligen Außenministers Colin Powell zu nennen, der angab, der Irak habe Massenvernichtungswaffen. Diese Einschätzung diente seinerzeit als zentrale Legitimierung für den Einmarsch in den Irak 2003, der zum Irakkrieg führte.

Die Debatte um Fake-News und was manche dagegen tun wollen

Auch seitens der Medien führt die Debatte über Fake-News zu hastigem Aktivismus. Die ARD sieht sich bemüßigt, über die Tagesschau einen Erklärfilm zur Gefahr von Fake-News zu veröffentlichen. Justizminister Heiko Maß und andere Politiker im In– und Ausland fordern einen Straftatbestand für die Verbreitung von Fake-News. Morgendliche Radiointerviews thematisieren Fake-News aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Der WDR liefert eine »Kampfansage gegen Fake-News«. mit Ideen wie:

  • Einführung einfacher Meldefunktionen für Fake-News
  • Zusammenarbeit von faktencheckenden Experten zur Prüfung von Fake-News
  • Pflicht zum Hervorheben von Quellen in News
  • Aufbrechen der sogenannten »Filterblase«, die auf die Interessen der Internetnutzer personalisierte Werbe-, Social-Media- und Nachrichtenwelt
  • Korrekturen sollen in News prominent herausgestellt werden
  • Fake-News-Anbietern soll die finanzielle Unterstützung entzogen werden
  • Es sollen mehr Redakteure eingestellt werden
  • Blacklists und Browser-Add-Ons sollen helfen, Fake-News automatisiert zu sperren

Meiner Meinung nach sind diese Punkte wichtig, um Fake-News zu bekämpfen. Allerdings geht die Diskussion am Kern vorbei.

Trotz Lügenpresse-Geschrei: Zeitungen sind und bleiben bei den Deutschen am glaubwürdigsten und werden viel gelesen

Alle oben genannten Maßnahmen lassen den »Leser« von Fake-News außen vor. Es wird vergessen, dass die größte Zahl der deutschen Leser in aller Regel aufgeklärte Bürger sind, die das deutsche humanistische Schulsystem durchlaufen haben. Sie sind selbst in der Lage, echte von falschen Nachrichten zu unterscheiden.

Die Schreihälse der Pepita, Legida und sonstiger »besorgter Wutbürger« haben vielleicht die lauteste Stimme, aber sind effektiv nicht in der Mehrheit. Viele Bürger sind sich sehr wohl bewusst, dass in der deutschen Medienlandschaft ein breites Spektrum an glaubwürdigen Informationsangeboten vorhanden ist und vertrauen den klassischen Medien mehr als Informationen aus sozialen Netzwerken.

Dieses Bild verdichtet sich durch folgende Fakten:

Von einer uninformierten Bevölkerung, die ihre Informationen nur als sozialen Netzwerken bezieht und Fake-News uninformiert auf den Leim geht, kann hier aus meiner Sicht keine Rede sein.

Die Frage die eher gestellt werden sollte, ist, wie der Eindruck entstehen kann, dass es sich die Realität gefühlt genau andersherum zu verhalten scheint.

Rechtsstaat kann Rahmenbedingungen in einem Digitalgesetz schaffen

Journalisten unterliegen nach deutschen Presserecht einer journalistischen Sorgfaltspflicht. Aus diesem Grund würde ich der Debatte über Fake-News hinzufügen, dass die Politik Maßnahmen durchführen und Internetunternehmen in die Pflicht nehmen muss, deutsches Straf-, Medien-, Presse-, und Urheberrecht auf ihren Plattformen durchzusetzen.

Die Rahmenbedingungen der Digitalisierung können in einem »Digitalgesetz« verankert werden. Dieses regelt z. B. die Residenzpflicht von Anbietern digitaler Informationsdienstleister in Deutschland. Weiterhin definiert es die Anforderungen an die Verständlichkeit von Datenschutzbedingungen und AGBs von Internetdiensten und fixiert zum Beispiel die Grundlage der Netzneutralität des Internets.

Wir sind verantwortlich für den Wert und die Verbreitung von Fake-News

Trotz staatlicher Gesetze und technischer Lösungen gegen Fake-News: den Wert und Wahrheitsgehalt von Fake-News bestimmen nur die Leser. Wir sind verantwortlich für die Verbreitung falscher Meldungen, indem wir diese unkommentiert in sozialen Medien teilen. Wir entscheiden, den »post-faktischen« Behauptungen in Fake-News mehr Gewicht zuzuweisen, als der Meinung informierter Experten und Politiker, repräsentativer Studien oder durch Journalisten investigativ erhobener Fakten.

Strafverschärfungen und Einschränkungen unserer Freiheit werden Fake-News zukünftig nicht verhindern. Wir sind verpflichtet, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu prüfen, kritisch zu hinterfragen, Falschmeldungen aufzudecken und anzuprangern. Nur wir Leser selbst können durch unser Verhalten die Verbreitung von Fake-News verhindern. Niemand sonst.